Gustav Mahlers Sechste Symphonie einem Studentenorchester anzuvertrauen, mag vermessen anmuten. Die besonderen und einzigartigen Strukturen des in Dortmund ansässigen Orchesterzentrums NRW bieten jedoch auch dem noch in der Ausbildung befindlichen Orchesternachwuchs seriöse Chancen, selbst anspruchsvollste Aufgaben auf hörenswertem Niveau zu stemmen. Davon konnte man sich jüngst im gut besuchten Dortmunder Konzerthaus überzeugen.
Der rundum gelungene Abend unterstrich die Ambitionen des Zentrums, den jungen Musikerinnen und Musikern aus allen vier staatlichen Musikhochschulen des Landes die Arbeit an Werken zu ermöglichen, die einzelne Hochschulen nicht leisten können. Und zwar, was die Erfahrungen im groß besetzten Ensemblespiel komplexer, ausgedehnter und entsprechend kräftezehrender Stücke angeht wie auch das persönliche Coaching der Teilnehmer. Und da gibt es letztlich keinen Anlass, auch einem Koloss wie Mahlers Sechste aus dem Weg zu gehen. Für den künstlerischen Leiter des Orchesterzentrums, Prof. Alexander Hülshoff, steht fest: „Man kann die jungen Leute nicht früh genug auf die Anforderungen vorbereiten, die der spätere Orchesteralltag mit sich bringt.“
In der Tat streben alle Teilnehmer eine professionelle Laufbahn als Orchestermusiker an. Und dazu gehören nicht nur exzellente spieltechnische Fähigkeiten, an denen es den Musikern, nicht nur dem heftig umjubelten Solo-Hornisten, nicht mangelt, sondern auch das, was besonders anspruchsvolle Herausforderungen wie eben eine Mahlers-Symphonie verlangen: die Orientierung auch in extrem massiven Klangballungen, Flexibilität angesichts schwindelerregend schneller Brüche und Wechsel, was Stil, Tempo und Dynamik angeht, Sicherheit in solistischen Partien und nicht zuletzt hohe Ansprüche an Konzentration und Kondition.
Die bis zum letzten Takt anhaltende Spielfreude der jungen Leute ließ keinen Zweifel an ihrem Ehrgeiz und ihrer Hingabe, mit denen sie den Anforderungen auf exzellentem Niveau gerecht werden konnten. Beflügelt wurden sie durch den jungen, gleichwohl in der musikalischen Bildungsarbeit erfahrenen Dirigenten Christian Reif, der das Orchester mit Elan durch die lange Partitur führte und, besonders bemerkenswert, auch die teilweise sehr massiv instrumentierten und dynamisch explodierenden Teile klanglich unter Kontrolle halten konnte, was selbst eingespielten Profi-Orchestern nicht immer gelingt.
So behielt Reif stets die Übersicht über die heikle klangliche Anlage wie auch über die weiten formalen Dimensionen der Sätze. Das führte im formal relativ klar strukturierten Kopfsatz zu einer Interpretation wie aus einem Guss. Heikler ist das folgende Scherzo angelegt, das dem Orchester aufgrund seiner zersplitterten Zerrissenheit mit seinem Wechselbad an schroffen Stimmungs-, Tempo- und Dynamikwechseln ein Maximum an Aufmerksamkeit und spieltechnischer Sicherheit abverlangt. Dass Reif und das Orchester diesen Husarenritt mit beachtlicher Präzision überstanden, spricht für die sorgfältige Einstudierung, den bedingungslosen Einsatz der Musikerinnen und Musiker, aber auch für das erfolgreiche Konzept des Orchesterzentrums.
Dass die genannten Qualitäten sogar im formal überdimensionierten Finalsatz bewahrt blieben, vertieft den positiven Eindruck. Reif strebte eine ausdrucksstarke Interpretation an, verfiel aber nie in einen hoffnungslos selbstzerfleischenden Tonfall. Auch im Finale formte er ein kontrolliertes Klangbild, selbst in den emotionalen Höhe- bzw. Tiefpunkten mit den legendären Hammerschlägen. Die erklangen, wie in Mahlers Erstfassung, nur zweimal. Von einem zeitweise eingefügten dritten Schlag nahm Mahler Abstand - aus Aberglaube. Der war in Dortmund aber fehl am Platz angesichts einer Aufführung, die die Hoffnung bekräftigt, dass es um den Nachwuchs für unsere Orchester bestens bestellt ist, wenn er entsprechend umsichtig und nachdrücklich gefördert wird.
Lang anhaltender Beifall für einen eindrucksvollen Konzertabend.
(Foto: Daniel Plonka)