Das vorliegende, in Blau und Weiß gehaltene Gemälde, das nun in spontaner Weise mit der Gegenwart Dortmunds interagiert, ist zugleich opak und transparent, positiv und negativ. Das Blau ist offenkundig die Farbe Napoleons, greift aber auch die Mehrdeutigkeit der Funktion dieser Farbe innerhalb der Schlacht von 1815 auf. Als nämlich die Preußen am späten Nachmittag eintrafen, erblickte Napoleon zwar schon von weitem ihre blauen Uniformen, erkannte aber nicht, ob diese die Ankunft seiner eigenen Truppen oder die des Feindes, also Sieg oder Niederlage signalisierten.
Ein derartiges Nebeneinander von Möglichkeiten prägt auf unterschiedlichen Ebenen auch die Arbeit von Frances Scholz. Einerseits lässt sich das Bild als die Silhouette einer Militärformation auf dem Schlachtfeld lesen. Gleichzeitig bildet es die Negativform einer 1807 entstandenen Zeichnung einer Lilie in einer Vase von Philipp Otto Runge ab – das komplette Gegenteil eines Schlachtenpanoramas also. Es lassen sich zahlreiche solcher simultaner Dichotomien im Bild ausmachen.
Im Folgenden einige Beispiele:
Das Gemälde, das die Konzertbesucher begrüßen und zur Musikerfahrung einladen soll, übernimmt eine aus Sicht der Vorübergehenden eigentümlich aktive Rolle. Scholz’ Arbeit nimmt die großzügige architektonische Verwendung von teilweise verspiegeltem Glas auf – wodurch ein privater Vorraum zur gemeinschaftlichen visuellen Kommunikation entsteht – und verbindet die lokal reflektierte Umgebung mit dem freien orchestralen Zusammenspiel von Form, Geste und Farbe.
In der Verwandlung der Negativform wird Runges klassisches Blumenstillleben quasi zu einem Element der Pop-Ikonographie, da diese Form einer Sprechblase oder einer Comic-artigen Darstellung einer Wolke ähnelt, die von Aeolos, dem Gott des Windes ausgestoßen wurde.
Die futuristische, minimalistische, beharrlich glatte und flache Wandarbeit verweist optisch auch auf das Ideal der dreidimensionalen Tiefe in der traditionellen Wandmalerei seit der Renaissance.
Wie die Musik selbst stellt das Wandgemälde einerseits die Realisierung des „Entwurfs“ eines genau definierten, mechanisch reproduzierten Konzeptes dar und protokolliert andererseits in Echtzeit dessen unmittelbare „Ausprägung“. Das Bild ist in schnellen, breiten Pinselstrichen unter den Beschränkungen durch Zeit, Körper und Schwerkraft von Hand gemalt. Dabei sind die Farbspritzer und kleineren Missgeschicke bei der Entstehung integraler Teil der Arbeit, welche die Kraft „live“ gespielter Musik im Sinne einer unveränderlichen, unbearbeiteten Aufführung in Echtzeit zelebriert.
Dies alles sind mögliche Lesarten im Hinblick auf die vorliegende Arbeit. Bei der Betrachtung dieser Lesarten ist zu bedenken, dass sich „Waterloo“ einer nach wie vor radikalen Avantgarde-Tradition verdankt, innerhalb derer ein Kunstwerk nicht in didaktischer Weise seine eigene Deutung bestimmt, sondern vielmehr jeden Betrachter auf eine individuelle kritische Reise ins Reale einlädt.